sozial-integrative projekte
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christine und irene hohenbüchler

Unsere Arbeit kann man vielleicht mit einem Tagtraum vergleichen. ästhetische Inhalte werden mit ethischen verbunden. Es gibt die Utopie des „gemeinsamen Handelns“ hin zu einer faireren Gesellschaft. Emanzipatorische Prozesse werden unterstützt und es soll zu mehr Gleichberechtigung zwischen den Individuenen kommen (zumindest für eine gewisse Zeit). Diesen Weg verfolgen wir seit Jahren, wissen aber weder, wie er weiter gehen noch wohin er uns führen wird. Er ist gekennzeichnet von persönlichen Lebensgeschichten und Erfahrungen.

Das Projekt der "Multiplen Autorenschaft" möchte wuchern, ungebunden agieren, Ausleger und Setzlinge in Gebiete des sozialen Umfelds und die verschiedenen Institutionen pflanzen. In der Zusammenarbeit wird zu spontanem Kombinieren von Materialien ermutigt. Techniken, die sonst nicht verfügbar wären, sollen zum Experimentieren bereit gestellt werden, die ein Entdecken ermöglichen ….
Unser Ansatz ist, die Werke der Teilnehmer mit unserer Arbeitsweise zu verbinden, ein Gewebe zu flechten, wobei nicht mehr wesentlich sein sollte, von wem welcher Faden gesponnen wurde … Vorrangig geht es nicht um den Einzelnen, sondern vielmehr um die Integration von (Rand)Gruppen in die Nähe des (Kunst)Zentrums.
Natürlich kann man uns den Vorwurf einer Instrumentalisierung der Künstler, der Teilnehmer machen. Dagegen müssen wir festhalten, daß die zusammengestellten Räume in einer intensiven Dialogform entstehen.
Die "Kunstwerkstatt" in Lienz ist nur ein Faden, der sich aus gewohnten Strukturen löst. Es gibt mehrere Ansatzpunkte und ähnliche internationale Projekte. Dem Betrachter bleibt es überlassen, wie er die Nachrichten annimmt, interpretiert, einordnet - als Kunst oder als etwas „Anderes“… Dazwischenliegendes.
Durch die Teamarbeit erfuhren wir, daß die Linie zwischen verlangter "Funktionstüchtigkeit" und der Unmöglichkeit, den erforderten Erwartungen zu entsprechen, dünn und brüchig ist.
Wir erlernten viel über unser eigenes soziales Verhalten, den Grenzen im Umgang mit Menschen. Es erfordert Kraft, Geduld und Zeit zuzuhören, um nicht vorschnelle Schlüsse zu ziehen. Es ist unanghenehm, mit dem eigenen Versagen konfrontiert zu werden und auf der anderen Seite wird man vom entgegenkommendem Vertrauen überwältigt.

Wir möchten (in Referenz zu Freuds Traumdeutung) auf unser eigenes „Finden“ einer künstlerischen Idee erzählen. Das findet zumeist im Stadium des Aufwachens oder des Einschlafens statt. Ein Zustand, wobei intensives Nachdenken über den Tag und ein Suchen nach Metaphern im vagen Zwischenbereich von Wachen und Schlafen aufgelöst wird. Morgens, beim Erwachen kann es passieren, daß die Bilder wie selbstverständlich, sehr klar „dastehen“. Die Imagination hat sich ihren Weg durch den Schlaf gegraben, die Nacht arbeitete für uns.
Untertags werden Rückschlüsse und Entscheidungen getroffen, die Gedanken und Ideen in Zusammenhang mit unserer Arbeitsweise gebracht, über deren Relevanz nachgedacht ....
Und oft sehr spontan auch ausgeführt.


multiple autorenschaft
Zusammenarbeit als Gruppe mit mehrfach behinderten Künstlern aus der Kunstwerkstatt Lienz in Osttirol. Letzte Präsentation auf der documenta X, Kassel. Eigens für die Präsentation entworfene und gebaute Kommunikationsmöbel (Ahornholz lackiert) dienen als Träger für verschiedene Werke der Künstler. Kleine Skulpturen, Zeichnungen, Webereien und bemalte Handtücher. Auf einem Tisch befindet sich ein Computer, auf dem die CD Rom von Günther Steiner läuft. Diese CD Rom ist gleichzeitig als Edition (Schellmann) im Rahmen der documenta X erschienen. Gezeigt werden Texte und Zeichnungen des Künstlers Günther Steiner, sowie ausgewählte Sequenzen aus dem präsentierten Video. Das Video entstand in der Vorbereitungszeit der documenta - Arbeit. Es verdeutlicht den Prozeß der Zusammenarbeit mit der Künstlergruppe aus Lienz. Der Monitor ist auf einem der Kommunikationsmöbel (Bankstellage) plaziert.

Liste der Kommunikationsmöbel:

drei Stühle
eine Bibliothek
ein Tisch mit drei Hocker, Computer
eine Bankstellage mit Video
eine C-förmige Stellage
ca. fünf Bilder der Künstler an einer Wand
kleine Installation von Bademoden (Bikinis, Badehosen und
Badeanzügen) mit aufgenähtem Zierrat, unterschiedliche Künstler
der Gruppe.
„Das Pälzchen“: bestickte Pölster


mutter-kind(er)haus
Bienale Venedig 1999 österreichischer Pavillion

Entwicklung eines Mutter-Kinderhauses mit dem Architekten Martin Feiersinger für Flüchtlingsfamilien, weiter zu verwenden für den Wiederaufbau. Wir dachten vor allem an die vielen allein erziehenden Mütter mit ihren Kindern, die so schnell als möglich ein Dach über den Kopf brauchen.
Es ist ein Holzhaus aus fertigen Elementen, zusammensetzbar und wieder zerlegbar. Also ein ca. 40 quadratmeter Haus, das auch „mitgenommen“ werden kann. Es erscheint relativ robust, da es auch winterfest ist. Die wabenförmige Grundstruktur entstand aus der Idee in verschiedenen Richtungen einen neuen Raum je nach Wohnbedarf zu erweitern.
Es gibt eine Naßzelle, eine Wohnküche und einen Schlafbereich. Diese kleine Wohneinheit wurde dem SOS-Kinderdorf zur Verfügung gestellt, um sie für ein Kinderdorf in Pristina, Kosovo zu verwenden.




cca kitakyushu mit teilnehmern des study-programs 1999

Der Arbeitsprozess mit KünstlerInnen des CCA-Studien-Programms wurde iniziiert, um verschiedenste künstlerische Positionen zu verbinden - zugunsten eines Gesamteindruckes im Ausstellungsraum. Die individuelle künstlerische Haltung reagierte in einem gemeinsamen Arbeitsprozess auf andere Aussagen und veränderte so die eigene, gewohnte Ausdrucksweise - eine wachsende Gruppendynamik führte zu einem nicht vorhersehbaren Endergebnis.

Wir hatten vor, im Land des „Papiers“ dieses Material als kulturellen Anküpfungspunkt zu nutzen. Zeichnung deshalb, weil es ein universelles Medium ist, d.h. jeder Mensch (Künstler) kann auf eine oder andere Weise daran teilnehmen. Wir wollten verhindern, daß zu heterogene Materialien benutzt werden. Es bestand die Gefahr, daß jeder Beteiligte die eigene Arbeit aufstellt und das Projekt zu einer Gruppenausstellung umfunktionalisiert wird.
Für uns war das gemeinsame Handeln, das Zeichnen als visuelle Sprache bedeutend. Die verbale Kommunikation mit den japanischen TeilnehmerInnen war vollkommen beschränkt, da diese nur bruchstückhaft Englisch konnten und wir kein Wort Japanisch.
Gemeinsam verfolgten wir eine ursprünglich abstrakte Idee der Raumgestaltung , vielleicht aus der Tradition der japanischer Schrift- und Tuschezeichnung kommend ...
Durch die „Eigen“- Dynamik des Arbeitsprozesses (ver)wandelte sich die Grundidee in eine völlig figurative, sehr fröhliche Bildsprache.
CCA Center for Contemporary Art, Kitakyushu, 1999: wir danken Akiko Miyake und Nobuo Nakamura



"...pour in..." Gallery of York University, Toronto 2000


Zusammenarbeit mit Betreuern und Teilnehmern der "Muki Baum association, school of the Arts". Aufbau von 4 Gipshügeln in der Galerie. Fragile Tonformen werden von allen Teilnehmern auf die Gipshügel gesetzt, es entsteht ein langsames Kreisen um die Formen. Wie eine unsichtbare Choreographie legen sich die Tage über die Gibsform und verwandeln den Galerieraum zur fragilen Landschaft. Langsam trocknet der Ton auf, Risse und Sprünge strukturieren die Formen, die Farbigkeit verblaßt. Gleichzeitig entstehen großformatige, bunte Zeichnungen an der Wand. Auch hier ist der Arbeitsprozeß stark von einer athmosphärischen Stimmung abhängig. Die einzelnen Autorenschaften vermischen sich mit der Gesamtheit aller Teilnehmer. Ebenfalls gibt es zu Beginn Widerstände, gegenseitiges Kennenlernen und Vertrauen muß aufgebaut werden. Betreuer finden, daß wir zu wenig Anleitung bieten. Uns ist aber das Reagieren auf einander, das gegenseitige Beeinflussen wichtig und plädieren für möglichst viel gestalterischer Freiheit in der Bildsprache, abhängig von der Fähigkeit jenes Einzelnen. Innerhalb dieser „collaboration“ bewunderten wir die unglaubliche Geduld und Liebe der Assistenten zu ihren Studenten.



arbeit zu zweit
1993 Middelburg, N.L.
„ to KNIT 2 , purl2“, Raumverknüpfung aus unterschiedlichen Stricken


„...Oktober 1810 –1999“
Arbeit in Folge der Ausstellung „dream city“ 1999 in München
Textcollagen über die Hauptstatt der „Bewegung“: über 40 fehlgeschlagene Attentate auf Hitler während des NS-Regimes
Holzhaus aus Fichtenbrettern bemalt und beschrieben, soud: Lied aufgenommen aus einer Bierhalle des Münchner Oktoberfestes



4 lichtkugeln (für amstetten 2001-2002)

In dem kleinen Verbindungsgarten zwischen Polytechnischer Schule und Sonderschule stehen 5 runde, von innen her leuchtende Formen und verbinden die beiden Schulen auf symbolische Weise.
Die Skulpturen scheinen wie überdimensionierte Pilze aus dem Boden zu schießen , erinnern an Spielbälle, bleiben aber fix dem Boden verhaftet. Bei Dämmerlicht beginnen diese rätselhaft zu leuchten ... . Vor allem in den langen Wintermonaten strahlen die Kugeln zeitig in der Dunkelheit und bleiben als (Schul)Zeichen auch Nachts erkennbar.
Mit dieser Arbeit versuchen wir, trotz der unterschiedlichen Bedürfnisse, Wahrnehmungsweisen und Altersgruppen – vom Volksschüler, Jugendlichen bis zum Erwachsenen, der abends die Volkshochschule besucht, Formen zu finden, die möglichst anziehend wirken und zur Assoziation anregen.

Material:
Stahlblech verschweißt, airbrush- Bemalung mit Zweikomponentenlacke, gebogenes Plexiglas




unterengadin - la plaiv

C/O: Memento 2001, Christopher Nolan mit Guy Pearce, Carrie- Anne Moss u.s.w.

Wir führen diesen Film an, da er uns bestärkte, die Idee des „Beschriebenen Hauses“, die uns spontan während des 2 tägigen Aufenthaltes im Unterengadin kam, weiter zu verfolgen.
Die Sgraffito Darstellungen auf den schweren Häusern, die ästhetisch ungemein anziehend sind und den Besucher mit ihrer unbekannten Poesie faszinieren, machen durch ihre Besonderheit auf kulturelle Differenz aufmerksam. Mit den dicken Mauern,
den tief dahinter liegenden Fenstern und den über die Fassade verstreuten Motiven erinnern die Häuser mit ihrer Symbolik an längst vergangene Zeiten. Die Zeichen sind den ungeübten Betrachter in ihrer Bedeutung oft nicht mehr verständlich, obwohl mit dem Bild einige, teilweise ambivalente Bedeutungen verbunden sind.
Drachen, Fisch, Meerjungfrau ( Ritscha), Perle … Schutz, Geborgenheit, Fruchtbarkeit, Vollkommenheit - ewiges Leben,

„… er muß alles Erleben stichwortartig festhalten, um sich zu vergewissern, daß es so gewesen sein muß. So tätowiert er seinen Körper mit persönlich essentiell wichtigen Fakten, die er keinesfalls verlieren darf, um zu (Über)leben. Sein Körper wird bedeckt mit den in verschiedenen Schrifttypen eingeritzten Worten...“

Der Film läßt Assoziationen mit den Sgrafitti-Häusern zu – im gewissen Sinn als lebendige, archaische Erinnerung – Begebenheiten, eingraviert in die 3. Haut, ein fortdauerndes Memorieren. ....

Gegen das Verschwinden des Rätoromanischen: als kulturelles Gedächtnis lebt es in Sprichwörtern, Reimen, Texten, in Form von Schriftzeichen fort, so lange man dessen Wert anerkennt. (D. h. die Worte sind für viele Leser nicht entzifferbar, an die ursprüngliche Bevölkerung gerichtet. Erinnerung wider des Verlernens?)
Geschichtliche Fakten und die Entwicklung der ältesten 4. Landessprache der Schweiz werden zu einem Textkonglomerat verwoben, … die Annäherung läuft über Mythen, Sagen, Erzählungen aus der Bevölkerung: Arnold Büchli: Mythologische Landeskunde von Graubünden; Ein Bergvolk erzählt, Band 3, 1990, Cathomas, Fischbacher, Jecklin u.a.:Erzählenhören: Frauenleben in Graubünden, 1998 Cathomas, Fischbacher, Schmid u.a.: Das Erzählen geht weiter, 1999, Rätoromanisch: Facts & Figures; Lia Rumantscha, 1996 Chur Dieter Kattenbusch: Studis romontschs: Beiträge des Rätoromanischen Kolloquiums 1996 u.s.w.
Die Schichtung des Textes läßt sich fortsetzen und stellt den Versuch dar, unterschiedliche Bezüge zu dem Tal, dessen Geschichte und vor allem der rätoromanischen Sprache herzustellen.
Es gibt spezifische Vokabel, Feinheiten von Ausdrucksmöglichkeiten, die in einer anderen Sprache nicht auf die selbe Art und Weise beschrieben werden können, oder eine Umschreibung benötigen.
Uns interessiert, ob die Menschen so hoch oben in einem Tal lebend, über Jahrhunderte abhängig von Witterungseinflüssen, besondere Ausdrücke im allgemeinen Sprachgebrauch verwenden. Wie z.B. die Konsistenz von Schnee, Regen, Sonne.
Gibt es im Deutschen vergleichbare sprachliche „Schattierungen“ oder wird, dem gebirgigen Gegebenheiten entsprechend differenziert? Wie z.B. Worte für Reif … Nuancierungen, vergleichbar der Malerei, wo mittels Farbabtönung und dem Verhältnis der Farbmischung eine Stimmung getroffen wird. Versuch, subjektive Wirklichkeit darzustellen … .
Segantini hat die Atmosphäre des Engadiner Tales mit Hilfe des Farbauftrages in der ihm eigener Technik wunderbar eingefangen – die Dominanz des Lichts, der eindeutigen Präsenz der Sonne, herrlich strahlend, majestätisch. .....
Jede Sprache vermittelt eine besondere Annäherung an die „Wirklichkeit“ und stiftet Identität. Spezifische Konnotationen als Bewußtseinsbildung, Wege des Denkens?

Projektrealisierung:
Teile des Textes sollen in Sgraffito-Technik auf ein Haus übertragen werden. Wir stellen uns eine dichtbeschriebene Fassade vor, mit unterschiedlichen Schrifttypen, die den Vorbeigehenden zum Lesen auffordern.
Die Farbigkeit bezieht sich auf die der umgebenden Häuser und die Möglichkeit des Putzes, also eher in dezenten grauen, braunen, gelblichen Tönen – wobei Jahreszahlen sich in Rot absetzen.

Wenn das Projekt erweitert werden kann – gibt es auf einem, dem Haus gegenüber liegenden Berge eine runde Lampe, die mit Hilfe von Sonnenenergie betrieben, beim Dunkelwerden zu leuchten beginnt (ähnlich einem Leuchtturm am Meer). So wechselt sich die Sichtbarkeit des Textes bei Tag mit dem Erleuchten eines Symbols am Berg ab. perlas: ( = Symbol des Lebens, Vollkommenheit, Unsterblichkeit, der Seele, des Logos, griech. Margarites: bezug zu dem alten romanischen Volkslied: La canzun de sontaga Margriata = Schutzheiligen der Alpen: sagenhafte, ambivalente Gestalt u.s.w.)
Lampe- Licht -Wächter – vereinen von Lebenden und Toten … weit oben … als Gegenstück zu den Sgraffiti-Perlenmotiven an den alten Häusern … mit Bezugnahme auf Segantinis Liebe zum Licht, dessen Zeichnungen von nächtlichen Landschaften … , der mythischen Verbindung zum Mond. Ein Leuchtzeichen, welches den Blick vom Tal begleitet … d.h. Licht, das über eine weite Strecke hin erkennbar sein soll, während das Haus statisch an einen Ort gebunden ist.



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Vleeshal Middleburg, 1993.
Opernvorhang /Staatsoper Wien, 1999. "Safety Curtains", museum im progress